Meine Woche

Veröffentlicht auf von Rodhus18

Dienstag, 12.Mai 2009

Heute Mittag kam ich ins Krankenhaus, da war Tim nicht mehr auf der Überwachungsstation sondern auf eine normale Station der Unfallchirurgie verlegt worden. Leider hat er mich heute überhaupt nicht erkannt und nur starr vor sich hingesehen. Jetzt hat er neue Schwestern und Pfleger, alles eine ungewohnte Umgebung für ihn. Die Narben sind fast alle verheilt und er ist an keinen Schläuchen mehr angeschlossen. Er redet aber keine zusammenhängenden Sätze sondern nur das, was er von der Logopädin gelernt hat. Britta war schon vorher da und ziemlich genervt, dass die Ärzte ihr keine Auskunft über die weitere Behandlung geben konnten. Wir hatten zusammen mit Tim Gehübungen gemacht. Es ist sehr schwer, er kann sich nicht konzentrieren.

Mittwoch 13. Mai 2009

Heute Morgen habe ich mit Phillip beim Frühstück über die Entwicklung geredet. Er meint es wäre eine Amnesie, deren Grad man noch nicht genau festgestellt hat. Mich macht das fast krank, ich kann nicht mit Tim so reden, dass er versteht was ich sage. Ich bekomme auch keine Antworten von ihm. Am Mittag habe ich dann mein Laptop mitgenommen und ihm Videos vorgespielt und Bilder gezeigt. Er hat sich wirklich erkannt und immer “ich” gesagt, wenn er auf dem Bild war. An die Zusammenhänge kann er sich nicht erinnern. Er guckte ziemlich unbeholfen. Er isst und trink selbstständig aber ist unbeholfener, wie dreijährige Kinder, die ich in Kathmandu betreue. Heute war ich nur 2 Stunden im Krankenhaus. Danach war ich schwimmen und war bei der Angehörigenbetreuung in der Uni.

Am Abend habe ich bei Tim in den Unterlagen gesehen, dass er Prüfungsarbeiten hatte. Mit Britta hatte ich dann alles raus gesucht und werde morgen nach Köln an die Uni fahren und fragen, wie man diese Termine verschieben kann.


Donnerstag 14. Mai 2009

Gleich nach dem Frühstück bin ich nach Köln gefahren und habe mich bei der Uni durchgefragt, wie das mit den Terminen ist. Mit der Bescheinigung vom Krankenhaus hat das auch geklappt. Tim ist jetzt erstmal wegen Krankheit entschuldigt. Ich kam erst um 15 Uhr wieder in Düsseldorf an und konnte noch die 2 Stunden der Besuchszeit nutzen. Wir wechseln uns jetzt ab, einige Freunde hatten Tim besucht. Ich hatte mir erhofft, er würde sie erkennen. Aber es war genau so , wie bei mir. Es ist unverändert. Ich habe Angst, dass dieser Zustand bleibt und bin ziemlich ratlos, wie das weiter gehen soll. Die Stationsärztin hatte noch mit Britta und mir gesprochen. Sie müssen jetzt für Tim einen rechtlichen Betreuer durch das Gericht bestellen lassen. Wir müssen deshalb morgen zum Gericht und einen von uns als rechtlichen Betreuer eintragen lassen, der dann Entscheidungen treffen muß, die Tim nicht selbst treffen kann. Heute Abend haben wir uns lange auch noch mit Phillip darüber unterhalten., Beide meinten, es wäre normal, wenn ich das als Partner mache. Ich fühle mich dazu nicht in der Lage, ich weiß nicht wirklich, was für Tim gut ist und was notwendig ist.


Freitag 15. Mai 2009

Heute morgen habe ich noch einmal mit Britta und Phillip gesprochen und wir haben uns darauf geeinigt, dass Phillip die rechtliche Betreuung übernehmen soll. Wir wissen nicht wie lange der Zustand bleibt und wie meine Zukunft aussieht. Wenn ich wieder nach Nepal gehen sollte, kann ich aus der Ferne nichts bestimmen. Ich glaube, es ist die beste Entscheidung und ich vertraue Phillip, dass er alles in unserem Interesse erledigt. Den ganzen Tag bin ich nur müde, die Tabletten reißen mich irgendwie runter. Ständig denke ich, ich bin nicht wirklich ich. Tim ist heute mit mir im Park spazieren gegangen, sie haben ihn in einen Rollstuhl gesetzt und ich gewöhne mir langsam die Kindersprache an, damit ich wenigstens ganz banale Konversation mit ihm führen kann. Er scheint aber ganz zufrieden zu sein. Ich habe es aufgegeben, ihn auszufragen, er versteht es einfach nicht. Heute Abend habe ich lange überlegt, wie es weiter geht. Ich kann ja nicht monatelang auf Wunder warten, die sich so nicht einstellen werden. Das haben die Ärzte schon mal in Aussicht gestellt. Phillip hat jetzt die Bestätigung vom Gericht bekommen.


Samstag, 16. Mai 2009

Heute haben mir die Ärzte das Ergebnis der Untersuchung gesagt. Tim hat eine retrograde Amnesie, er hat kein Gedächtnis an die Vergangenheit . Das wundert mich, weil er am Anfang sein Geburtsmonat wusste und sich an einige Sachen erinnern konnte. Das ist jetzt alles weg. Sie wollen ihn nächste Woche in die Psychiatrische Klinik verlegen, weil er auf der Unfallchirurgie nicht weiter behandelt werden kann. Phillip hat dann die nötigen Papiere besorgt und ist mit mir nach Grafenberg gefahren, wo die Klinik ist. Mir ist schlecht geworden. Ich kannte ja so eine Klinik schon aber die Patienten hier waren alle so sonderbar drauf. Tim bekommt ein Einzelzimmer. Wir hatten es uns angesehen. Ich weiß nicht ob er das alles überhaupt registriert oder ob er nur für die Minute denkt. Ob ihm egal wäre, wo er schläft und wie seine Umgebung ist. Der Chefarzt in der Klinik war sehr nett. Er hat sich die Krankenakte mit den Untersuchungsergebnissen angesehen und hat Hoffnung, dass sich das heilen lässt. Er geht davon aus, dass Tim zwischendrin immer wieder kurzzeitig Erinnerungen hat. Das erklärt vielleicht auch manchmal sein Fragen nach Uhrzeit oder Tag. Er fragte mich ja auch, wo er ist und wer ich bin. Das fragt er aber jetzt schon jeden Tag. Er erinnert sich einfach nicht. Nicht mal an den vorherigen Tag.


Sonntag, 17.5.2009

Heute morgen bin ich in die Kinder Onkologie, weil ich das versprochen hatte und bin bis nach dem Mittagessen dort geblieben. Ich hatte meine Gitarre mitgenommen und wir hatten zusammen gesungen. Es hat mir richtig Spaß gemacht. Danach bin ich zu Tim und habe ihn in den Park geschoben. Britta und Phillip kamen etwas später und haben Kuchen mitgebracht. Tim hat jetzt den iPod umgehängt und spielt ständig an dem Geräte. Ich glaube er ist stolz darauf, dass er ihn bedienen kann und freut sich richtig. Morgen werde ich ihm noch ein paar Lieder mehr mitbringen. Später sind wir dann in die Stadt gefahren und waren japanisch essen.


Montag 18.05.2009

Heute morgen war ein Brief in der Post vom Personalstab der UN. Sie haben auf meine Bewerbung vom Februar geantwortet und gefragt, ob ich für einen weiteren Einsatz bereit wäre. Da waren eine ganze Menge Informationen dabei. Ich hatte erst gedacht, sie haben mir die Entlassungspapiere für Kathmandu geschickt. Die warten auch auf eine Nachricht von mir, wann ich wieder zurück komme. Ich hab keine Ahnung, was in nächster Zeit passiert. Wie ich Tim besuchte, beschimpfte er mich übelst, ich wolle ihm was böses. Die Schwester sagte, er sei den ganzen Tag schon so drauf und würde alle wüst beschimpfen. Er muss irgendwelche schlimmen Erinnerungen oder Vorstellungen haben. Ich hab Phillip angerufen und ihm das erzählt. Er sagte das so was vorkommen kann und eine Nachwirkung des Komas wäre. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte und bin raus gegangen. Auf dem Flur musste ich erstmal heulen. So bin ich noch nie beschimpft worden. Der Arzt sagte mir aber, dass Tim nicht wüsste was er sagt und sich der Bedeutung nicht bewusst ist. Jetzt sitze ich an meinem Laptop auf dem Balkon und zwinge mich das wirklich in mein Tagebuch zu schreiben. Nebenbei chatte ich ein bisschen und gleich ist mein Geburtstag.


Dienstag 19.05.2009

Heute war ein schlimmer Tag. Ich hatte Geburtstag und den ganzen Tag kamen Anrufe. Natürlich wollte alle wissen, wie es Tim geht und ich hatte eigentlich keine Lust mehr, ständig das Gleiche zu erzählen und immer wieder daran erinnert zu werden, weil es mir unheimlich weh tut, Tim so zu sehen.

Meine Tante rief auch an und ich hab ihr versprochen für ein paar Tage ins Sauerland zu kommen. Keine Ahnung warum ich zugesagt habe. Ich glaub ich will nur mal raus, ein paar Tage nicht nachdenken müssen, keine Angst zu haben. Britta hatte das Frühstück gemacht und Phillip hatte extra frei genommen. Wir sind dann nach Roermond in das große Outlet Center gefahren. Da sollte ich mir ein paar Sachen zum Anziehen aussuchen. Wir haben dann für Tim noch 2 Schlafanzüge und einen Bademantel gekauft, die wir ihm ins Krankenhaus brachten. Sie hatten schon auf uns gewartet, da er heute verlegt werden sollte und Phillip mitfahren wollte. Britta und ich sind dann mit dem Auto nachgefahren. Es war schlimm, Tim beschimpft immer noch alle und sie haben ihn jetzt Tabletten gegeben, da mit er nicht so aufbrausend ist. Zu Britta und mir hat er gesagt, wir sollen abhauen, wir wollten ihn umbringen. Ich habe Britta und Phillip heute Abend gesagt, dass ich für 2 Tage nach Schmallenberg fahre. Sie fanden das eine gute Idee. Bei Tim sind die Besuchszeiten nur Sonntag, Mittwoch und Freitag sind , kann ich einfach nur dasitzen und warten. Vielleicht schaffe ich es ja jetzt wieder klare Gedanken zu bekommen. Ich fühl mich elend leer und weiß nicht mal, was ich fühle und wie es weiter gehen soll.


Mittwoch 20.5.2009

Ich habe meine Tante jetzt schon fast 3 Jahre nicht mehr gesehen und mich richtig gefreut, auch wenn ich ungerne durch den Ort gefahren bin. Hier hat sich auch viel verändert. Es gibt einen neuen Supermarkt und die Straße zum Haus meiner Eltern ist breiter geworden. Alles lief wie ein Film an mir vorbei. Als ich beim Bäcker Kuchen kaufte, mit dem ich meine Tante überraschen wollte, bediente mich eine ehemalige Mitschülerin, die mich auch sofort erkannte. Jetzt kann ich garantiert sicher sein, dass jeder in dem Kaff weiß, dass ich hier war. Meine Tante und ich haben dann stundenlang in alten Geschichten gewühlt. Sie hat mir irgendwie die Angst genommen, sie hat mich sogar überredet mit ihr eine ganze Flasche ekelig süßen Pfefferminzlikör zu trinken. Wir haben uns dann Videos und Bilder von Nepal angesehen und sie hat mir nichts von meinem Eltern erzählt, wir wollten das Thema nicht ansprechen.. Britta hatte mir am Telefon gesagt, Tim wäre etwas ruhiger geworden. Ich werde am Samstag zurück nach Düsseldorf fahren.

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